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In einer von uns erstrittenene Entscheidung vom 22.02.2018, Az.: 2 K 22097/17 Me, hat das Verwaltungsgericht Meiningen wiederum systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden in Bulgarien festgestellt. Das Gericht führt in seiner Entscheidung dazu aus:

„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, NVwZ 2012, S. 417) gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten vereinbar ist. Dabei berührt aber nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedsstaat oder jeder Verstoß gegen einzelne Bestimmungen der einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinie die Verpflichtung der übrigen Mitgliedsstaaten. Wenn dagegen dem Mitgliedsstaat einschließlich der nationalen Gerichte nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingung für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden, obliegt es ihm, keine Überstellung vorzunehmen. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen (vgl. VG Magdeburg, B. v. 13.12.2016 – 2 B 408/16 -, juris, Rn. 20 m.w.N.).

Systemische Schwachstellen in diesem Sinne sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem – aus welchen Gründen auch immer – faktisch ganz oder in weiten Teile seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. OVG Niedersachsen, U. v. 15.11.2016 – 8 LB 92/15 -, juris, Rn. 35).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist eine Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unmenschlich, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht; als erniedrigend ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung bzw. Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Art. 3 EMRK kann allerdings nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, B. v. 02.04.2013, Nr. 27725/10, ZAR 2013, 336). Etwas anderes gilt aber nach der genannten Entscheidung des EGMR, wenn der jeweilige Staat aufgrund bindender rechtlicher Vorgaben die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung hat, wie z.B. nach der Richtlinie 2013/33/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Annahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie) oder der Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie). Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Annahme von Asylsuchenden für die Mitgliedsstaaten festgelegt. Sie geben für alle Mitgliedsstaaten verbindlich vor, was deren Asylsystem zu leisten im Stande sein muss. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch gerade die praktische Umsetzung messen lassen (VG Göttingen, U. v. 14.03.2017 – 2 A 141/16 -, juris, Rn. 18).

Prognosemaßstab für das Vorliegen derartiger relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Annahme systemischer Mängel setzt somit voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

Systemische Schwachstellen liegen damit insbesondere dann vor, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedsstaat, in den er überstellt werden soll, der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, wenn das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder wenn er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG Niedersachsen, U. v. 15.11.2016 – 8 LB 92/15 -, juris, Rn. 41).

Bei Anwendung dieser Vorgaben ist das Gericht davon überzeugt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien für sog. „Dublin-Rückkehrer“ systemische Schwachstellen aufweisen (systemische Schwachstellen bejahend: VG Düsseldorf, B. v. 02.02.2018 – 22 L 3744/17.A -, juris, Rn. 47ff.; VG Göttingen, U. v. 14.03.2017 – 2 A 141/16 -, juris, Rn. 21ff.; VG Münster, B. v. 23.12.2016 – 8 L 1390/16.A -, juris, Rn. 4; VG Minden, U. v. 21.09.2016 – 3 K 2346/15.A -, juris, Rn. 19ff.; VG Köln, B. v. 22.08.2016 – 18 L 1868/16.A -, juris, Rn. 5ff.; VG Freiburg, U. v. 04.02.2016 – A 6 K 1356/14 -, juris, Rn. 13ff.; a.A. VG Düsseldorf, B. v. 01.02.2017 – 12 L 4344/16.A -, juris, Rn. 15ff.; VG München, B. v. 19.01.2017 – M 1 S 16.51268 -, juris, Rn. 17ff.; VG Aachen, U. v. 23.11.2016 – 8 K 1929/15.A -, juris, Rn. 40ff.).

Die in Bulgarien für sog. „Dublin-Rückkehrer“ wie den Kläger nach den nationalen Vorschriften durchgeführten Verfahren verstoßen gegen Art. 28 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie und Art. 7, 17, 18 Abs. 1, 19 und 21 der Aufnahmerichtlinie (vgl. VG Göttingen, U. v. 14.03.2017 – 2 A 141/16 -, juris, Rn. 22; VG Minden, B. v. 23.12.2016 – 8 L 1390/16.A -, juris, Rn. 4).

Nach Art. 28 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie stellen die Mitgliedsstaaten sicher, dass ein Kläger, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Abs. 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe des Art. 40 und 41 geprüft wird (ähnlich Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO). Einstellungen nach Art. 28 Abs. 1 Asylverfahrensrichtlinie sind solche, die erfolgen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass ein Kläger seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt.

Art. 28 Abs. 2 der Asylrechtsverfahrensrichtlinie ist im Fall des Klägers auch einschlägig. Zwar haben die bulgarischen Behörden ihre Übernahmebereitschaft nicht ausdrücklich auf Art. 18 Abs. 1c) Dublin III-VO gestützt, d.h. im Hinblick auf „einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen“ hat, sondern ihre Aufnahmebereitschaft lediglich auf das Übernahmeersuchen des Bundesamtes nach Art. 18 Abs. 1b) Dublin III-VO bezogen. Jedoch spricht hier alles dafür, dass das Verfahren des Klägers in Bulgarien eingestellt worden ist, da er dort bereits am 18.11.2016 seinen Asylantrag gestellt hat.

Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass es einem rücküberstellten Asylbewerber in Bulgarien nicht gelingt, den rechtlichen Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie entsprechend wieder in sein – altes – Asylverfahren zu gelangen. Es spricht viel dafür, dass der Antrag von Dublin-Rückkehrern nach einer Einstellung ihres Verfahrens in Bulgarien entgegen Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie als Folgeantrag nach Maßgabe des Art. 40 dieser Richtlinie geprüft wird. Dies versperrt den Betroffenen den Weg in das „normale“ Asylverfahren. Es handelt sich hiernach nicht um Einzelfälle, sondern um ein systematisches Vorgehen der bulgarischen Behörden (vgl. VG Göttingen, U.v. 14.03.2017 – 2 A 141/16 -, juris, Rn. 29; VG Gießen, B. v. 17.08.2017 – 3 L 4674/17.GI.A -, juris, Rn. 28ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 19.05.2017 – 11 A 52/17.A -, juris, Rn. 52 lässt offen, ob nach Bulgarien zurückkehrende Asylsuchende, die dort bereits einen Asylantrag gestellt haben, grundsätzlich entsprechend den Anforderungen des Art. 28 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie behandelt werden).

Das VG Göttingen (U. v. 14.03.2017 – 2 A 141/16 -, juris, Rn. 25-28) führt insoweit aus:

„Ähnlich formuliert es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – BFA – in seinem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien auf Seite 7: Demzufolge sei seit Januar 2016 ein Verfahren zu suspendieren, wenn sich der Antragsteller für mehr als 10 Arbeitstage entziehe. Nach weiteren 3 Monaten sei das Verfahren zu beenden. Erscheine der Antragsteller binnen einer Frist von 6 Monaten nach Beendigung und bringe triftige Gründe für sein Fernbleiben vor, sei das Verfahren wieder zu eröffnen. Ohne triftige Gründe für das Fernbleiben bleibe nur die Möglichkeit eines Folgeantrags, der aber als unzulässig gelte, wenn er keine neuen Elemente in Bezug auf den Antragsteller oder den Herkunftsstaat enthalte. Ferner heißt es, das nahezu alle Dublin-Rückkehrer in Bulgarien Folgeantragsteller seien, da ihnen die staatliche Flüchtlingsbehörde bei Rückkehr eine „termination decision“ aushändigt.
Auch der UNHCR berichtet in seiner Stellungnahme vom 25. November 2016 an das erkennende Gericht von einer unzulänglichen Praxis insoweit. Nach Einschätzung des UNHCR zeige sich in der Praxis, dass eine vollständige und angemessene Prüfung der Anträge in der Sache nicht gewährleistet sei, unabhängig von der Zeit die ein Dublin-Rückkehrer außerhalb Bulgariens verbracht habe. Zudem dauere das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrer länger als das Verfahren anderer Asylsuchender, insbesondere im Hinblick auf den Zeitraum, der von der Anhörung verstreicht, da die Behörde zunächst den Eingang verschiedener grundlegender Dokumente abwarte. In seiner Stellungnahme an das VG Aachen vom 29. Januar 2016 führt der UNHCR aus, der Asylantragsteller werde als irregulär anwesend betrachtet, wenn der Abtransport, d.h. die Überstellung nach mehr als 3 Monaten und 10 Tagen, nachdem der Asylantrag gestellt wurde, oder wenn der Einspruch in der Abwesenheit des Antragstellers abgelehnt worden sei geschehe. Allerdings sei es in der Praxis so, das nach einer Rückkehr bzw. Überstellung gemäß der Dublin-Verordnung, falls eine Anhörung noch nicht geführt worden sei, der Anspruch zu einer Anhörungsberechtigung gewährleistet werde. In den aktualisierten Antworten auf Fragen von UNHCR Deutschland im Zusammenhang mit Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren von Juni 2015 heißt es inhaltsgleich, es werde davon ausgegangen, dass sich der/die Antragsteller (in) irregulär im Lande aufhalte und in Abschiebehaft genommen werde, wenn die Überstellung mehr als drei Monate und zehn Tage nach Registrierung des Asylantrags erfolgt oder der Antrag in Abwesenheit des Antragstellers/der Antragstellerin abgelehnt worden sei.
Diese Auskünfte werden durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Juli 2016 an das erkennende Gericht nicht relativiert. Das Auswärtige Amt führt zunächst aus, dass bei einem Flüchtling, der im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Bulgarien zurückkehre, das von ihm vor Verlassen des Landes initiierte Asylverfahren an dem Punkt wieder aufgenommen werde, an dem es sich verfahrenstechnisch befand als er Bulgarien verlassen habe. Allerdings referiert auch das Auswärtige Amt die Auffassung des UNHCR, der berichtet habe, dass die nationale Flüchtlingsagentur in manchen Fällen, den zurückgekehrten Flüchtlingen den Rat gegeben habe, einen neuen Asylantrag zu stellen. Dies würde für die Betroffenen materielle Nachteile bedeuten (ähnlich schon Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Aachen).“

Weiter heißt es in dem Urteil des VG Göttingen vom 14.03.2017 (juris, Rn. 30-34):

„Das Gericht verkennt nicht, dass es dem Asylbewerber bei hinreichender Information und dem gebotenen rechtlichen Beistand gelingen kann, in das „normale“ Asylverfahren zu gelangen, ohne die Nachteile eines Folgeverfahrens zu erleiden. Indes ist es faktisch so, dass dem Asylbewerber die hierfür erforderliche Kenntnis und die Informationen fehlen, die einen Zugang zu einer entsprechenden rechtlichen Beratung ermöglichen.
So fehlt es schon seit Mitte Juni 2015 an geeigneten Dolmetschern für die Anhörung der Asylbewerber (UNHCR, aktualisierte Antworten auf Fragen von UNHCR Deutschland im Zusammenhang mit Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren, Juni 2015, Seite 3). Diese Situation hat sich, wie sich aus den aktuell vom Gericht eingeholten Auskünften ergibt, bis heute nicht verbessert (Auswärtiges Amt an das erkennende Gericht vom 29.07.2016; UNHCR an die erkennende Kammer vom 25. November 2016; BFA Länderinformationsblatt Seite 6; Dr. I. An das VG Aachen vom 30. Juni 2016). Dieser Mangel an Dolmetscherkapazitäten und die damit einhergehende Sprachlosigkeit zwischen den Asylbewerbern und der bulgarischen Flüchtlingsbehörde verstößt gegen die sich aus Art. 5 der Aufnahmerichtlinie und Art. 12 Abs. 1a) und b) der Asylverfahrensrichtlinie ergebenden Rechte des Asylbewerbers auf Information und Anhörung in einer für sie verständlichen Sprache.
Einher geht das Fehlen einer ausreichenden Zahl von Sprachmittlern mit dem Fehlen einer entsprechenden Information der Asylbewerber durch die bulgarischen Flüchtlingsbehörden. Diese kommen ihrer aus Art. 5 der Aufnahmerichtlinie und Art. 8 der Asylverfahrensrichtlinie folgenden Informationspflicht nicht nach. Vielmehr ergibt sich aus den eingeholten Stellungnahmen und Auskünften, dass die bulgarischen Flüchtlingsbehörden eine bewusste Desinformation in dem Sinne betreiben, dass sie die Asylbewerber, die im Rahmen des Dublin-Systems nach Bulgarien zurückkehren wider das bulgarische Recht in das Asylfolgeverfahren drängen.
Fehlt es den bulgarischen Flüchtlingsbehörden schon an einer hinreichenden Anzahl von Dolmetschern, so lässt sich naturgemäß auch der aus Art. 22 der Asylverfahrensrichtlinie folgende Anspruch des Asylbewerbers auf Rechtsberatung schlechterdings nicht durchsetzen.
Mithin ist es dem Zufall überlassen, ob ein Dublin-Rückkehrer ausreichende Informationen und eine entsprechende Rechtsberatung erhält, die es ihm ermöglicht, seine auf dem Papier stehenden Rechte in Bulgarien durchzusetzen und geltend zu machen. Im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR ist dem Asylbewerber, der im Rahmen einer Rücküberstellung nach der Dublin III-VO nach Bulgarien zurückkehrt der Weg in das ihm eigentlich zustehende Asylverfahren durch verschiedene verwaltungstechnische Erschwernisse somit verwehrt. Diese Erschwernisse beruhen zur Überzeugung der Kammer auch nicht auf verwaltungsorganisatorischen Unzulänglichkeiten, die abzustellen sich die bulgarischen Flüchtlingsbehörde bemühen, sondern auf zielgerichteter Desinformation zum Zwecke der Abschreckung von Asylbewerbern.
Da somit davon auszugehen ist, dass die übergroße Mehrheit der Dublin-Rückkehrer ihre Rechte nur im Rahmen eines Asylfolgeverfahrens geltend machen können, kommen auf sie auch unzumutbare und erniedrigende Aufenthaltsbedingungen im Falle ihrer Rückkehr nach Bulgarien zu.“

Auch das Verwaltungsgericht Gießen führt in seinem Beschluss vom 17.08.2017 (3 L 4674/17.GI.A, juris, Rn. 30-32) insoweit aus:

„Dublin-Rückkehrer, die – wie im Fall der Klägerinnen – vor ihrer Ausreise einen Asylantrag gestellt, aber eine Entscheidung der bulgarischen Behörden über diesen nicht abgewartet haben, werden bei ihrer Ankunft im Fall eines laufenden Asylverfahrens als Asylsuchende registriert. Nach dem bulgarischen Recht kann ein laufendes Asylverfahren allerdings ausgesetzt werden, wenn der Asylsuchende nicht innerhalb von zehn Tagen zu einem Termin nach ordnungsgemäßer Ladung erscheint oder wenn er seine Anschrift ändert ohne dies der Asylbehörde mitzuteilen (vgl. Art. 14 des bulgarischen Asylgesetzes vom 1.12.2002, zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 97/2016 vom 02.12.2016, inoffizielle Übersetzung in englischer Sprache – allerdings nur in der Fassung vom 16.10.2015 – abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/47flfaca2.html (Stand 10.08.2017). Nach dreimonatiger Aussetzung kann das Verfahren in Abwesenheit des Asylsuchenden innerhalb von 14 Tagen nach Bekanntgabe einen Rechtsbehelf einlegen, wobei eine Entscheidung nach Maßgabe des Art. 76 des bulgarischen Asylgesetzes auch dann als zugestellt gilt und die Rechtsbehelfsfrist in Gang setzt, wenn sie nach Übersendung an die letzte bekannte Adresse als nicht zustellbar zurückgeschickt wird. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gilt der internationale Schutz als rechtskräftig abgelehnt und der Rückkehrer wird wie ein irregulärer Migrant behandelt (vgl. Rechtsgutachten Frau Dr. Ilareva, a.a.O., S. 4 f.).
Aufgrund dieser Rechtslage war es – jedenfalls bis zu einer Gesetzesänderung im Oktober 2015 – Praxis der bulgarischen Asylbehörde, allen Rücknahmegesuchen der Mitgliedstaaten zuzustimmen und nach der Rückkehr des Asylsuchenden in Bulgarien eine Wiedereröffnung des Asylverfahrens zu verweigern, indem sie sich auf die in Abwesenheit ergangene verfahrensbeendende Entscheidung berief (vgl. Aida, Country Report Bulgaria – Situation of Dublin Returnees, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/bulgaria/asylum-procedure/procedures/dublin). In dieser Praxis sieht das Gericht einen Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 AsylVf-RL, der die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass ein Kläger, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung aufgrund stillschweigender Antragsrücknahme oder Nichtbetreiben des Verfahrens im Sinne des Art. 28 Abs. 1 AsylVf-RL wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40, 41 AsylVerf-RL als Folgeantrag geprüft wird (vgl. ähnlich auch Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO).
Eine gesicherte Erkenntnis, ob und in welchem Umfang diese Praxis der bulgarischen Asylbehörde noch aufrechterhalten wird, liegt nicht vor. Im Oktober 2015 wurde mit Art. 67e (2) bulgarisches Asylgesetz – im Einklang mit Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO – die Verpflichtung zur Wiedereröffnung des Verfahrens im Hinblick auf Asylbewerber eingeführt, die auf Grundlage der Dublin-Verordnung nach Bulgarien zurückkehren. Nach Maßgabe des Jahresberichts 2016 des Bulgarischen Helsinki-Komitees vom 31. Januar 2017 (vgl. Bulgarian Helsinki Committee, a.a.O., S. 15 f) führte diese Gesetzesänderung auch im Jahr 2016 nicht dazu, dass beendete Verfahren nach Rückkehr des Asylbewerbers unter der Dublin III-VO wieder aufgenommen wurden; vielmehr mussten die Rückkehrer einen Folgeantrag stellen und auf eigene Kosten eine Unterkunft außerhalb der Aufnahmeeinrichtung suchen. Soweit dieser Bericht auf eine Änderung der Praxis im laufenden Jahr 2016 und einen erleichterten Zugang der Dublin-Rückkehrer zu dem Asylverfahren deutet, gilt dies offenbar nur für Rückkehrer, in deren Verfahren keine abschließende Entscheidung ergangen ist, da nur diese Personen zurückgenommen wurden; die Zahl der im Rahmen der Dublin-Verordnung wieder aufgenommenen Asylbewerber ist daher deutlich zurückgegangen (vgl. Bulgarian Helsinki Committee, a.a.O., S. 15 f). Auch nach Einschätzung der Asylum Information Base (Aida) kann eine gesicherte Aussage über eine Änderung der Praxis der Asylbehörde nach Einführung des Art. 67e (2) in das bulgarische Asylgesetz derzeit nicht getroffen werden (Aida, Country Report Bulgaria – Situation ob Dublin Returnees, a.a.O.).“

Im Fall des Klägers liegen keinerlei Informationen über den Stand des Asylverfahrens in Bulgarien vor, insbesondere ist nicht bekannt, ob eine Entscheidung in Bulgarien in seiner Abwesenheit ergangen ist (vgl. VG Gießen, B. v. 17.08.2017 – 3 L 4674/17.GI.A -, juris, Rn. 32).

Ist davon auszugehen, dass die übergroße Mehrheit der Dublin-Rückkehrer ihre Rechte nur im Rahmen eines Asylfolgeverfahrens geltend machen können, kommen auf sie auch unzumutbare und erniedrigende Aufenthaltsbedingungen im Falle ihrer Rückkehr nach Bulgarien zu (VG Göttingen, U. v. 14.03.2017 – 2 A 141/16 -, juris, Rn. 34). Insoweit führt das Verwaltungsgericht Göttingen in seinem Urteil vom 14.03.2017 (2 A 141/16, juris, Rn. 35-38), dem der Einzelrichter in Auswertung der dort in Bezug genommenen Erkenntnisquellen folgt, aus:

„Denn Folgeantragstellern, die nicht zu einer vulnerablen Gruppe gehören, haben weder Anspruch auf Unterbringung noch auf Verpflegung oder medizinische Versorgung. Vielmehr werden diese Personen als irreguläre Emigranten betrachte und in Abschiebezentren untergebracht, wo sie zwecks Abschiebung – zum Teil über längere Zeit – inhaftiert werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt, Seite 12; UNHCR an die erkennende Kammer vom 25. November 2016, Dr. I. An das VG Aachen vom 30. Juni 2016, Seite 4; dieselbe an das erkennende Gericht vom 5. Oktober 2016, Seite 3; Auswärtiges Amt an das VG Aachen vom 27. Januar 2016).
Dieses Vorgehen verstößt gegen das Recht auf Bewegungsfreiheit des Asylantragstellers aus Art. 7 der Aufnahmerichtlinie. Auch der Anspruch auf Leistungen für einen angemessenen Lebensstandard nach Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie. Auch der Anspruch auf die erforderliche medizinische Versorgung nach Art. 19 und 21 der Aufnahmerichtlinie wird von Bulgarien verletzt. Schließlich verstößt die Ingewahrsamnahme, die nur an die Antragstellung des Dublin-Rückkehrers anknüpft, gegen Art. 26 der Asylverfahrensrichtlinie.
Insgesamt ergibt sich somit für Dublin-Rückkehrer nach Bulgarien das Bild, dass diesen der Zugang zu dem ihnen zustehenden Asylverfahren systematisch verwehrt wird und der Aufenthalt in Bulgarien ebenso systematisch bis hin zur Unzumutbarkeit unter mehrfachem Verstoß gegen bindende europarechtliche Vorgaben erschwert wird. Hierin erkennt die erkennende Kammer eine erniedrigende Behandlung, und damit einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK.“

So kommt auch das Verwaltungsgericht Minden mit Urteil vom 21.09.2016 (3 K 2346/15. A, juris, Rn. 27) zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass erhebliche Risiken für Dublin-Rückkehrer – insbesondere mit Eurodac-Treffern der Gruppe 1 – bestehen, überhaupt Zugang zur SAR (State Agency for Refugees) zu finden und anschließend ihre Rechte im Asylverfahren wahren zu können, insbesondere – wenn dies erforderlich ist – die Fortsetzung des Verfahrens zu erreichen. Diese Risiken ziehen die Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nach sich. Solange die Dublin-Rückkehrer nicht im SAR-Lager aufgenommen sind, ist ihre Unterbringung und Verpflegung nicht gewährleistet. Falls sie die Aufnahme dort oder die Fortführung des Verfahrens nicht erreichen, droht ihnen Abschiebungshaft.

Hiernach enthalten die in den aufgeführten Entscheidungen zitierten Erkenntnismittel erhebliche Indizien dafür, dass Dublin-Rückkehrer, die Asylanträge in Bulgarien gestellt haben, der Weg in das „normale“ Asylverfahren verwehrt ist und sie einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind. Es besteht zudem eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies auch den Kläger betrifft. Der Antragsteller wäre ein Dublin-Rückkehrer mit Eurodac-Treffer der Gruppe 1.“