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Schreibt die Sitzungspolizeiliche Anordnung eine zweite Einlasskontrolle vor, verstößt ein Beginn der Hauptverhandlung vor Abfertigung aller Zuhörer, die zum offiziellen Beginn der Hauptverhandlung im Gericht anwesend waren gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit

Das Thüringer Oberlandesgericht führt hierzu in seinem Beschluss vom 09.02.2016, Az.: 1 OLG 181 Ss 57/15 aus:

„Die Nach Rücknahme der staatsanwaltschaftlichen Berufung durchzuführenden Sprungrevision, § 335 Abs. 3 StPO, ist zulässig und begründet.

Sie hat bereits mit der Rüge der Verletzung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§§ 169 GVG, 338 Nr. 6 StPO) – vorläufigen – Erfolg. Die vom Angeklagten darüber hinaus vorgetragenen Verfahrensrügen bedürfen deshalb keiner Erörterung. Dasselbe gilt für die Sachrüge.

1.
Nach dem durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls gestützten Revisionsvorbringen, dem auch die Staatsanwaltschaft nicht entgegen getreten ist, ergibt sich folgender Verfahrensablauf: Die Vorsitzende hatte am 22.101.2014 eine sitzungspolizeiliche Anordnung getroffen, nach der die Zuhörer der am 24.10.2014 stattfindenden Hauptverhandlung sich bei der Einlasskontrolle ausweisen hatten und anschließend auf Waffen und Gegenstände, die geeignet sind, zur Störung der Hauptverhandlung verwendet zu werden, zu durchsuchen waren. Beanstandete Gegenstände sollen in Verwahrung genommen und beim Verlassen des Gebäudes wieder ausgehändigt werden. Dasselbe war für Geräte, die der Ton- und Bildaufnahme und/oder -wiedergabe dienen, u.a. Mobiltelefone und Laptops, angeordnet. Die Anordnung wurde am Tag der Hauptverhandlung von Beamten der Thüringer Bereitschaftspolizei ausgeführt, die von allen Zuhörern Ausweisdokumente verlangten, die Personen und mitgeführten Sachen durchsuchten, Handys und Laptops an sich nahmen und die Personendaten entsprechend der Anordnung in einer Kontrollliste erfassten. Die erschienen Zuhörer wurden dieser Maßnahme nacheinander unterzogen, weshalb es zu erheblichen Verzögerungen kam. Zu Beginn der Hauptverhandlung befanden sich daher (nur) ca. 8 Zuschauer im Verhandlungssaal mit ca. 20 Sitzplätzen; vor dem Saal warteten zu diesem Zeitpunkt nach ca. 10-15 Zuhörer auf die Behandlung durch die Beamten und Einlass in den Sitzungssaal. Nach Aufruf der Hauptverhandlung wurde die Tür zum Verhandlungssaal geschlossen und zunächst keine weiteren Personen, die sich den angeordneten Maßnahmen unterzogen hatten, Einlass gewährt. Nachdem die zuvor belehrten Zeugen den Sitzungssaal verlassen hatten und nach Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse rügte die Verteidigerin des Angeklagten, dass die Verhandlung unter teilweisem Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt werde. Nachdem auch nach ca. 15 Minuten Hauptverhandlungsdauer kein weiterer Zuhörer mehr den Sitzungsaal betreten hatte, beantragte die Verteidigerin des Angeklagten, die Öffentlichkeit wiederherzustellen und führte zur Begründung aus, dass noch mindestens 10 Personen auf Einlass warteten und die örtlichen Gegebenheiten es zuließen, dass sie der Verhandlung beiwohnen. Diesen Antrag lehnte die Vorsitzende, die sich vor Beginn (09:40 Uhr) der auf 9:00 Uhr anberaumten Hauptverhandlung selbst von den vor dem Gerichtssaal auf Einlass wartenden Zuhörern überzeugen konnte, mit der Begründung ab, der Angeklagte solle bei seiner Äußerung zur Sache nicht unterbrochen werden, und setzte die Hauptverhandlung fort.

2.
Bei diesem Sachverhalt ist mit der Generalstaatsanwaltschaft davon auszugehen, dass das Amtsgericht den Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 169 GVG) verletzt hat. Dieser Grundsatz verlangt, dass jedermann ohne Ansehung seiner Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen der Bevölkerung und ohne Ansehung bestimmter persönlicher Eigenschaften die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen der Gerichte als Zuhörer teilzunehmen. Eine der von dem Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen (vgl. §§ 172, 175 Abs. 1 GVG) lag nicht vor. Auch eine tatsächliche Unmöglichkeit, jedermann den Zutritt zu gewähren, wie sie sich aus beschränkten Raumverhältnissen ergibt, oder tatsächliche Hindernisse anderer Art, die das Gericht trotz aufmerksamer Beachtung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht bemerkt hat und nicht bemerken konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 07.03.1979, Az. 3 StR 39/79, bei juris, m.w.N.), waren hier nicht gegeben. Die – wie hier – mit der Ausführung der grundsätzlich zulässigen Kontrollanordnung verbundene zeitliche Verzögerung des Eintritts der Personen, die noch Zutritt begehren, ist kein tatsächliches Hindernis in diesem Sinne (vgl. BGH, a.a.O.). Vielmehr darf das Gericht in solchen Fällen mit der Verhandlung erst beginnen, wenn den rechtzeitig erschienenen Personen der Zutritt gewährt worden ist (vgl. BGH, a.a.O.; BGH NStZ 1995, 181, 182). Das war hier nicht der Fall. Dabei ist unter „rechtzeitig“ der für den Verhandlungsbeginn vorgesehene Zeitpunkt, hier also 09:00 Uhr zu verstehen. Denn von Zuhörern darf billigerweise nicht erwartet werden, dass sie sich vor Beginn der Verhandlung nach einer eventuellen Anordnung von Kontrollmaßnahmen erkundigen und die durch deren Vollzug entstehende Verzögerung selbst abschätzen (vgl. BGH NStZ 1995, 181, 182).

Der Verpflichtung, mit der Verhandlung erst zu beginnen, nachdem allen rechtzeitig erschienenen Zuhörern der Zutritt zum Sitzungsaal gewährt worden war, hat das Gericht nicht genügt. Zwar hat es ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht bereits um 09:00 Uhr, sondern erst um 09:40 Uhr mit der Hauptverhandlung begonnen, konnte sich, weil dies von der Zahl der erschienenen Zuhörern und dem Verlauf der Durchsuchungen abhing, aber gleichwohl nicht sicher sein, dass es allen termingerecht erschienen Zuhörern gelungen war, die Kontrollen zu passieren und den Sitzungsaa zu erreichen. Es hätte sich deshalb bereits vor dem tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung etwa durch Nachfrage bei den die Sicherungsanordnung ausführenden Beamten der Thüringer Bereitschaftspolizei darüber vergewissern müssen, ob alle bis zur vorgesehenen Terminsstunde eingetroffenen Zuhörer Gelegenheit hatten, den Sitzungsaa zu betreten. Spätestens hätte aber das Gericht dies tun müssen, nachdem es von der Verteidigerin auf die Situation aufmerksam gemacht worden war. Dies ist nicht geschehen, was sich schon daraus ergibt, dass das das Gericht seinen Beschluss, mit dem es den Antrag des Angeklagten auf Wiederherstellung der Öffentlichkeit abgelehnt hat, nicht etwa mit dem Ergebnis einer derartigen Erkundigung, sondern (allein) damit begründet hat, der Angeklagte solle bei seiner Einlassung nicht unterbrochen werden.

Diese Gesetzesauslegung führt nicht zu unpraktikablen Ergebnissen. Das Gericht darf bei einer durch eigene Maßnahmen bedingten Verzögerung des Eintritts der Zuhörer mit der Hauptverhandlung beginnen, soweit alle termingerecht Erschienenen, die – im Rahmen der vorhandenen Platzkapazitäten – mit rechtzeitigem Einlass rechnen konnten, den Sitzungsaa betreten haben. Der Eintritt von Personen, die später erschienen sind, braucht nicht abgewartet zu werden. Denn die Erwartung eines an der Hauptverhandlung Interessierten, nur denjenigen Teil der Verhandlung zu versäumen, der nach seiner Annahme in dem Zeitraum zwischen dessen vorgesehenem Beginn und seinem, des Zuhörers, Eintreffen vor dem Sitzungsaal abläuft, wird durch die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht geschützt (vgl. BGH, Beschluss vom 07.03.1979, a.a.O.).

3.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.“