03641 - 62 82 72 kontakt@kanzlei-elster.de

Das Verwaltungsgericht Meiningen hat in einem von uns erstrittenen Urteil vom 23.04.2018 zum Aktenzeichen 1 K 20889/17 Me entschieden, dass dem im Alter von 15 Jahren aus Syrien ausgereisten Kläger die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen werden kann. Das Verwaltungsgericht Meiningen führt zur Begründung aus:

„Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer unter anderem dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst, a).

Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es darauf an, ob bei zukunftsgerichteter Betrachtung genügend beachtliche Anknüpfungsmerkmale, also Verfolgungshandlungen nach § 3a AsylG und Verfolgungsgründe im Sinne von § 3b AsylG, vorliegen, derentwegen eine Bedrohung aller Voraussicht nach in Zukunft nachvollziehbar und begründet erscheint. Dabei ist eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann relevant, wenn sie an einen der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe anknüpft (vgl. § 3a Abs. 3 AsylG).

Verfolgungshandlungen in diesem Sinne liegen nach § 3a Abs. 1 AsylG vor, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder wenn sie in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie durch eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte betroffen ist (Nr. 2). Verfolgung liegt danach u. a. grundsätzlich vor bei der Anwendung physischer oder psychischer – einschließlich sexueller – Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), sowie bei diskriminierenden staatlichen Maßnahmen (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 bis 5 AsylG).

Zur Flüchtlingsanerkennung fuhrt die begründete Furcht vor den genannten Verfolgungshandlungen dann, wenn die Verfolgung an die Rasse, Religion, Nationalität, die politische Überzeugung oder die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe anknüpft (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG – Verfolgungsgründe). Nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potentiellen Verfolger sowie deren Politik und Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Nach § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. auch Art. 10 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie – QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich hier an dem angloamerikanischen Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Betroffenen richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Haltung innehat (VG Saarlouis, U. v. 22.08.2013 – 3 K 16/13 -, juris). Auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Art. 16a Abs. 1 GG kann eine politische Verfolgung bereits darin liegen, dass eine staatliche Maßnahme gegen eine an sich unpolitische Person gerichtet wird, weil sie vom Verfolger der politischen Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld eines politischen Gegners zugerechnet wird, welcher seinerseits Objekt politischer Verfolgung ist (BVerfG, B. v. 22.11.1996 – 2 BvR 1753/96 -, juris).

Der Ausländer hat nur dann einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 AsylG, wenn er bei seiner Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher, d. h. also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Eine solche Verfolgungsgefahr liegt nach der ständigen und insoweit nach wie vor einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes vor (BVerwG, U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 -, juris), wenn dem Ausländer bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zugrunde zu legen. Beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist bereits dann anzunehmen, wenn bei der Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, U. V. 01.06.2011 – 10 C 25/10 juris). Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, B. V. 07.02.2008 – 10 C 33.07 -, juris). Ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr beachtlich ist, entscheidet sich damit nach dem Kriterium der Zumutbarkeit der Rückkehr. In diese Betrachtung fließt maßgeblich auch die Qualität der zu erwartenden Übergriffe, die besondere Schwere etwa eines zu befürchtenden Eingriffs, mit ein (vgl. auch VG München, U. v. 03.02.2014 – M 22 K 12.31012-juris).

Der Ausländer ist auf Grund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Anspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, U. v. 08.05.1984 – 9 C 141.83 -, juris) und ins besondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen. Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben. Die Gefahr einer Verfolgung kann nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft hat, wobei allerdings der typische Beweisnotstand bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrages und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, U. v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 -, juris).

1. Davon ausgehend hat der Kläger weder bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, die die Annahme rechtfertigten, er habe seine Heimat Syrien bereits aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen. Dies gilt vor allem für seine Schilderung der wirtschaftlich und politisch sehr schlechten Situation sowie der Gefährdung durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in seiner Heimat Syrien. Diese Umstände stellen kein besonderes, den Kläger treffendes, individuelles Verfolgungsschicksal dar, sondern betreffen alle Syrer gleichermaßen. Sie rechtfertigen daher nicht die Zuerkennung des Flüchtlings-, sondern allein des subsidiären Schutzstatus.

2. Der Kläger hat jedoch Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil seine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die erst eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat, sodass sog. Nach- fluchtgründe im Sinne von § 28 Abs. 1a AsylG vorliegen.

(…)

2.2. Eine Rückkehrgefahrdung besteht für den unverfolgt ausgereisten Kläger ausgehend von den vorstehenden Ausführungen jedoch unter dem Gesichtspunkt gefahrerhöhender Umstände (Risikofaktoren). Ein solcher Risikofaktor ist nach Ansicht der Kammer darin zu sehen, dass sich der Kläger durch seinen Auslandsaufenthalt dem ihm in seinem Heimatland drohenden Militärdienst entzogen hat. Insoweit sind das System der allgemeinen Wehrpflicht in Syrien sowie die besonderen Umstände, denen sich militärdienstpflichtige Männer und Reservisten und insbesondere all jene, die sich ihren entsprechenden Pflichten entziehen, gegenüber sehen, in den Blick zu nehmen. Hierzu fuhrt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 12.12.2016 (Az.: 21 B 16.30372 -, juris) aus:

„Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der General rekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch – versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 5).

Syrische Behörden hätten nach den Ermittlungen der Agence-France-Presse (AFP) das Recht, im Kriegsfall oder im Falle einer Erklärung eines Ausnahmezustands, alle männlichen Personen zwischen 18 und 42 Jahren, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, wieder einzuberufen (AFP v. 27.3.2012 „Syria Imposes Travel Ban on Men Under 42: Reports“). Zum Thema Reisebeschränkungen der militärdienstpflichtigen Männer heißt es, dass die Regierung allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren offiziell verboten habe, außerhalb des Landes zu reisen (The Christian Science Monitor v. 27.3.2012, „As Syria’s War Rages, Assad Bans Military-Age Men From Leaving“). Einschränkend gibt die AFP an, dass diese Männer reisen dürften, aber vorher eine Genehmigung von den Behörden bräuchten und das bisherige Reiseverbot sich nur auf Männer bezogen habe, die ihre zweijährige Wehrpflicht noch nicht abgeleistet hätten (AFP v. 27.3.2012; vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYRl04921.E, S. 6 f.).

Nach den Erkenntnissen des Orient-Instituts habe die syrische Regierung im März 2012 beschlossen, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet sei, auch wenn diese bereits den Wehrdienst abgeleistet hätten. Männliche syrische Staatsangehörige sähen sich nach einer Wiedereinreise nach Syrien in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet, wenn sie älter als 18 Jahre seien, der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber. Für den Fall, dass der Wehrdienst vor der Ausreise nicht abgeleistet worden sei, könne dies von der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, aber auch Folter zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet worden sei, komme es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 Jahren erneut eingezogen würden (Deutsches Orient-Institut an das Schleswig- Holsteinische OVG undatiert).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt aus („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, V. 30.7.2014, S. 3 ff.), Männer hätten, nachdem sie die allgemeine Wehrpflicht absolviert hätten, die Möglichkeit, für die Dauer von fünf Jahren in den aktiven Militärdienst einzutreten. Ansonsten dienten sie während der nächsten 18 Jahre als Reservisten. Es gebe keine Möglichkeit für einen Ersatzdienst. Wehrdienstverweigerung werde gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst worden sei, bestraft. In Art. 68 sei festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft werde, wer sich der Einberufung entziehe. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlasse und sich so der Einberufung entziehe, werde mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Art. 101 werde Desertion mit fünf Jahren oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlassen habe.

Im Herbst 2014 habe das Regime verschiedene Maßnahmen erlassen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges hätten die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt seien, eine offizielle Beglaubigung des Militärs verlangt, dass sie vom Dienst freigestellt seien. Am 20. Oktober 2014 habe die „General Mobilisation Administration des Department of Defense“ allen Männern die Ausreise verboten, die zwischen 1985 und 1991 geboren seien. Mit diesen neuen Restriktionen hätten Männer in den Zwanzigern keine Möglichkeiten mehr, das Land legal zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien, Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 4). Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden in Kriegszeiten Reservisten einberufen. Die Einberufung als Reservist werde wie die Einberufung in den Militärdienst individuell ausgehändigt. Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. Tausende sollen 2012 einen Einberufungsbefehl erhalten haben. Präsident Assad sei dringend auf den Einsatz von Reservisten angewiesen. Im März 2012 habe die syrische Regierung deshalb allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren verboten, das Land ohne Bewilligung zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014, S. 6 f). Seit Herbst 2014 habe das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seither komme es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen hätten. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) habe bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militär dienst entzogen hätten, Fälle von Folter dokumentiert. Viele Männer, die im Rahmen der Maßnahmen einberufen würden, erhielten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und würden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien; Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 3 f).

Die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) hat am 3. Februar 2016 eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung dahingehend beantwortet, dass in den vergangenen Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien. Laut Augenzeugenberichten soll sich die Anzahl junger Männer in den Straßen von Damaskus deutlich verringert haben. Einige hätten darüber berichtet, dass über die Überprüfung an Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht worden seien, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch habe es verlässliche Berichte darüber gegeben, dass Personen aus dem Gefängnis hinaus zum Wehrdienst eingezogen worden seien.

Nach einem Artikel in „Syria Deeply“ (unabhängiges digitales Medienprojekt in New York) vom 16. Dezember 2015 habe es in Damaskus eine erhöhte Anzahl von Verhaftungen an staatlichen Kontrollstellen gegeben; die Behörden würden vermehrt prüfen, ob jemand sich dem Wehrdienst entziehe (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).“

Diese Ausführungen, einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisse, macht die Kammer sich zu eigen und ist, dies zugrunde gelegt, davon überzeugt, dass syrischen Flüchtlingen im militärdienstpflichtigen Alter, die in ihren Heimatstaat zurückkehren, bei den Sicherheitskontrollen im Rahmen der Einreise aufgrund einer aus der Entziehung vom Wehrdienst gefolgerten – zumindest unterstellten – Regimefeindlichkeit (oppositionelle Gesinnung), mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Behandlung und Folter droht. Dies gilt unter den genannten Umständen sowohl für Wehrdienstpflichtige als auch für Reservisten. Aus den benannten Erkenntnisquellen zieht die Kammer den Schluss, dass geflohene Wehrdienstpflichtige und Reservisten, d. h. im Grundsatz all jene männlichen syrischen Flüchtlinge, die zwischen 18 und 42 Jahren alt sind und nicht ausnahmsweise keiner Wehrpflicht unterliegen, eine der benannten Risikogruppen bilden. Es ist davon auszugehen, dass diese im Rahmen der stattfindenden strengen Einreisekontrollen durch die Sicherheitskräfte als „fahnenflüchtig“ identifiziert werden. Dies deshalb, weil es zum einen aufgrund des offensichtlichen Alters der betreffenden Person bereits nahe liegt, diese gezielt herauszugreifen und zum anderen, weil die Behörden über die Frage, ob jemand wehrpflichtig oder Reservist ist, informiert sind.

Im Hinblick auf die Erkenntnisse zu den erfolgten Mobilisierungs- bzw. Rekrutierungsmaßnahmen in die syrische Armee in Verbindung mit dem alles übersteigenden Interesse des syrischen Regimes an seiner Machterhaltung und der Durchsetzung dieses Zieles mit allen Mitteln, liegt es auf der Hand, dass den Personen, die sich aufgrund ihrer Flucht der Rekrutierung entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung gegenüber dem Regime unterstellt werden wird. Denn, so führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (a. a. O., Rdnr. 78) überzeugend weiter aus,

„diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft.“

Fest steht unter Zugrundelegung der benannten Erkenntnisquellen aus Sicht der Kammer zu dem, dass auf die Identifizierung als (vermeintlicher) Regimegegner mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Anwendung von Folter bzw. Handlungen folgen, die eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Dies entspricht dem beschriebenen Vorgehen und dem beobachteten Verhaltensmuster der syrischen Behörden, um eine (vermeintlich) regimefeindliche Gesinnung zu bestrafen und insbesondere die Betroffenen einzuschüchtern (so auch BayVGH, a. a. O., Rdnr. 79).

Unerheblich ist dabei, dass der Kläger erst nach seiner Ausreise das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit wehrpflichtig nach syrischem Recht wurde. Allein dieser Umstand vermag an der beschriebenen Lage nichts zu ändern. Insoweit kann ausschließlich eine Rolle spielen, dass der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt, auf den sich die Prüfung dessen, was ihm bei einer potenziellen Rückkehr in sein Heimatland drohen würde bezieht, bereits 18 Jahre alt ist und damit der Wehrpflicht in jedem Fall unterfällt. Auch insoweit ist davon auszugehen, dass die syrischen Behörden ihm die beschriebene regimefeindliche Gesinnung unterstellen und ihm entsprechenden Foltermaßnahmen unterziehen würden. Denn auch er hat sich aus deren Sicht – zwar vor Entstehung, aber dennoch überhaupt – der Wehrpflicht und damit der Unterstützung des syrischen Militärs im Kampf um den Machterhalt entzogen.“