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Urteil vom 27.11.2019, Az.: 20 K 128/15

Das VG Hamburg entschied, dass das Anhalten des angemeldeten Demonstrationszuges mit dem Motto „Selbstorganisation statt Repression! Refugee-Bleiberecht, Esso-Häuser und Rote Flora durchsetzen“, am 21. Dezember 2013 um ca. 15:11 Uhr auf dem Schulterblatt unter der Bahnbrücke in Hamburg, die Freiheitsentziehung des Klägers am 21. Dezember 2013 in der Kastanienallee von ca. 18.05 Uhr bis ca. 23.15 Uhr hinsichtlich der Dauer und der dem Kläger erteilte Platzverweis für die Hamburger Innenstadt, Schanzenviertel und St. Pauli vom 21. Dezember 2013 von ca. 23.15 Uhr bis ca. 6:00 Uhr des 22. Dezember 2013 rechtwidrig war.

Das Urteil betrifft ein Verfahren über die unrechtmäßige Festnahme und anschließende Platzverweisung eines Demonstranten während einer Demonstration in Hamburg am 21. Dezember 2013. Das Verwaltungsgericht Hamburg entschied, dass die polizeilichen Maßnahmen, den angemeldeten Protestmarsch zu stoppen, den Demonstranten für mehrere Stunden festzuhalten und ihm einen stadtweiten Platzverweis zu erteilen, unrechtmäßig waren.

Das Gericht stellte fest, dass das polizeiliche Vorgehen, die Versammlung zu stoppen und den Kläger festzunehmen, nicht gerechtfertigt war. Der Aufzug war angemeldet und es gab keine Abweichungen vom geplanten Ablauf oder Verhalten, das ein polizeiliches Eingreifen in dem erfolgten Ausmaß rechtfertigte.

Der dem Kläger erteilte Platzverweis, der ihm den Zugang zu wesentlichen Teilen Hamburgs, einschließlich der Innenstadt, Schanzenviertel und St. Pauli, vom Abend des 21. Dezember bis in die frühen Morgenstunden des 22. Dezember untersagte, wurde ebenfalls als unverhältnismäßig und ungerechtfertigt beurteilt.

Das Gericht erörterte verschiedene rechtliche Grundsätze, einschließlich der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit polizeilicher Maßnahmen im Kontext der Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und persönliche Freiheit. Es wurde hervorgehoben, dass solche Maßnahmen strikt notwendig und verhältnismäßig zu dem verfolgten Ziel sein müssen.

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Achtung angemeldeter Proteste und stellt sicher, dass jede polizeiliche Intervention rechtlich gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, um die Rechte der Individuen auf Protest und freie Bewegung ohne unangemessene Einschränkungen zu wahren.

In der Begründung führt das Gericht aus:

„III. Die Klage ist – soweit sie noch anhängig ist – zulässig (1.) und begründet (2.).

  1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie statthaft. Hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 2. kann es dahinstehen, ob das Anhalten des Aufzugs bzw. die Ingewahrsamnahme als Verwaltungsakte oder als Realakte anzusehen sind, denn im ersten Fall ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage und im zweiten eine allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO statthaft. Der Klageantrag zu 3. Ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 3 VwGO analog statthaft, weil der angegriffene Platzverweis einen Verwaltungsakt darstellt.

Das sowohl für die Fortsetzungenfeststellungsklage als auch für die allgemeine Feststellungsklage erforderlich Feststellungsinteresse (analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bzw. nach § 43 Abs. 2 VwGO) liegt vor. Im Hinblick auf das Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ergibt es sich aus dem erheblichen Eingriff der streitgegenständlichen Maßnahmen in die Grundrechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 GG (Klageantrag zu 1.) bzw. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Klaganträge zu 2. Und 3.), gegen die Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nach dem typischen Verfahrensablauf nicht erreicht werden konnte (vgl. BVerfG, Beschl. V. 3.3.2004, 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77, juris Rn. 26 ff.; Beschl. v. 30.04.1997, 2 BvR 817/90, BVerfGE 96, 27, juris Rn. 49).

Die Durchführung eines Vorverfahrens ist – soweit Verwaltungsakte angegriffen werden – entbehrlich, da die Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist eingetreten ist. Die Klage ist insoweit auch fristgerecht erhoben, da eine Klage, die auf Feststellung der Rechtwidrigkeit eines Verwaltungsakts gerichtet ist, der sich vor Eintritt der Bestandskraft erledigt, nicht an die Fristen der §§ 74 Abs. 1 bzw. 58 Abs. 2 VwGO gebunden ist (vgl. BVerwG, Urt. V. 14.7.1999, 6 C 7/98, BVerwGE 109, 203, juris Rn. 18 ff.).

Der Kläger durfte mit Schrieben seiner Prozessbevollmächtigten vom 5. Juni 2019 die Anträge zu 1 und 2. Konkretisieren. In der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2019 sind noch keine Anträge gestellt worden. Die Konkretisierung ist gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO auch nicht als Klageänderung anzusehen, weil der Kläger die ursprünglichen Anträge zu 1. und 3. ohne Änderung des Klagegrundes beschränkt hat.

  • Die Klage ist – soweit sie noch anhängig ist – begründet. Sowohl das Anhalten des angemeldeten Demonstrationszuges am 21. Dezember 2013 um ca. 15:11 Uhr auf dem Schulterblatt (a) als auch die Dauer der Freiheitsentziehung des Klägers am 21. Dezember 2013 in der Kastanienallee (b) und der ihm gegenüber erteilte Platzverweis (c) waren rechtswidrig.
  1. Das Anhalten des angemeldeten Demonstrationszuges am 21. Dezember 2013 um ca. 15:11 Uhr auf dem Schulterblatt durch die Polizei war rechtswidrig und hat den Kläger, der an der Versammlung teilgenommen hat, in seinen Rechten aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Rechtsgrundlage für das Anhalten des Aufzugs bildet § 15 Abs. 3 VersG, der ausdrücklich nur die Auflösung der Versammlung vorsieht. Als milderes Mittel der Auflösung kommt jedoch auch ein Anhalten einer Versammlung als sogenannte Minusmaßnahme in Betracht (vgl. BVerG, Beschl. v. 14.1.1987, 1 B 219/86, juris Rn. 6; Dürig-Friedel in: Dürig-Friedel/Enders, Versammlungsrecht, 2016, § 15 VersG Rn. 158).

Eine Minusmaßnahme ist aber nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 VersG vorliegen. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach § 15 Abs. 1 oder 2 VersG gegeben sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Versammlung war angemeldet. Es wurde nicht in einer Art und Weise von den Angaben der Anmeldung (aa) oder von den Auflagen (bb) abgewichen, dass eine Auflösung der Versammlung (und damit auch das Anhalten als Minusmaßnahme) gemäß § 15 Abs. 3 VersG gerechtfertigt gewesen wäre. Schließlich waren die Voraussetzungen für eine Minusmaßnahme nach § 15 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG nicht gegeben (cc).

(aa) Das Anhalten des Aufzugs war nicht deshalb rechtmäßig, weil die Versammlungsteilnehmer hinsichtlich der Abmarschzeit von den Angaben der Anmeldung abwichen. Angemeldet war ein Abmarsch um 15.00 Uhr. Der tatsächliche Abmarsch erfolgt gegen 15.10 Uhr. Die Polizei musste ab 15 Uhr und damit auch zum Zeitpunkt des tatsächlichen Abmarschs auf einen Abmarsch vorbereitet sein.

Entgegen der Ansicht der Beklagten rechtfertigte auch die Verlängerung der Marschroute über die Feldstraße zum neuen Endkundgebungsplatz, die erst gegen 15 Uhr zwischen der Versammlungsleitung und der Polizei vereinbart wurde, nicht das Anhalten des Aufzugs. Zwar wurde insoweit von der Anmeldung abgewichen. Dies führte auch zu notwendigen zusätzlichen bzw. geänderten Verkehrssicherungsmaßnahmen am Ende der Strecke, welche im Vorfeld nicht getroffen werden konnten. Jedoch blieb der Großteil der Strecke, insbesondere der gesamte Anfang, gleich. Die Strecke wurde lediglich verlängert, so dass auch während des Marsches Verkehrsmaßnahmen für das Ende der Route hätten getroffen werden können. Selbst wenn die Verkehrsmaßnahmen für die geänderte Streckenführung nicht rechtzeitig hätten getroffen werden können, hätte sich der Aufzug jedenfalls bis zum bisher geplanten Endkundgebungsplatz fortbewegen und erst dort angehalten werden können. Dies wäre angesichts des hohen Rangs des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, juris Rn. 61 ff. m.w.N.) allein angemessen gewesen. Ein vorheriges Anhalten war insoweit unverhältnismäßig.

(bb) Das Anhalten konnte nicht darauf gestützt werden, dass die Versammlungsteilnehmer von einer Auflage abwichen. Zwar hat die Beklagte im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, es sei eine allgemeine Praxis, dass der Abmarsch erst 10 Minuten nach seiner Ankündigung durch die Versammlungsleitung erfolge. Jedoch hat die Beklagte nicht vorgetragen und ist sonst nicht ersichtlich, dass die Polizei eine entsprechende Auflage getroffen hat.

Die Beklagte hat eine solche Auflage nicht in die Anmeldebestätigung mit beschränkenden Auflagen aufgenommen. Hinweise auf eine solche allgemeine Praxis ergeben sich auch nicht aus dem Formular der Aufzugsanmeldung, aus den allgemeinen Ausführungen der Versammlungsbehörde „Was müssen Sie beachten, wenn Sie eine Demonstration durchführen wollen?“ oder aus den „Hinweisen für die Durchführung von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen unter freiem Himmel“ (alle im Internet zu finden unter https://www.polizei.hamburg/service/6160774/versammlungsbehoerde-/).

Zwar beinhaltet die Anmeldebestätigung mit beschränkenden Auflagen den Hinweis, dass weitere Auflagen auch an Ort und Stelle durch die Polizei erteilt werden können (S. 16). Eine solche mündliche Auflage wurde den Versammlungsleitern gegenüber aber – auch nach Angaben der Beklagten – nicht erteilt. Vielmehr fanden nach den Ausführungen der Beklagten lediglich Kooperationsgespräche statt. Dabei kann dahin stehen, ob die Versammlungsleiter – wie von der Beklagten vorgetragen – mit der Polizei kooperiert hatten, dass ein Abmarsch erst 10 Minuten nach Ankündigung des Abmarschs gegenüber der Polizei erfolgen werde und ob der Abmarsch des Aufzugs gegen das im Wege der Kooperation Vereinbarte verstieß. Denn selbst eine gänzlich fehlende Kooperation ist allein kein Grund für eine versammlungsrechtliche Maßnahme (hierzu und zum Folgenden: Kniesel/Poscher in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, K. Rn. 290; Kniesel in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl., 2019, § 14 Rn. 122). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versammlungsgesetzes ändern sich bei mangelnder Kooperation oder bei einer Kooperation, von der – wie vorliegend nach Angaben der Beklagten – teilweise abgewichen wird, nicht. Was sich lediglich ändern kann, sind die Anforderungen an die Validität der versammlungsbehördlichen Gefahrenprognose. Denn bei mangelnder Kooperation oder bei einer Kooperation, von der – wie vorliegend nach Angaben der Beklagten – teilweise abgewichen wird, nicht. Was sich lediglich ändern kann, sind die Anforderungen an die Validität der versammlungsbehördlichen Gefahrenprognose. Denn bei mangelnder Kooperation kann die Versammlungsbehörde ihre Gefahrenprognose ausschließlich auf die ihr vorliegenden Tatsachen stützen.

(cc) Schließlich waren die Voraussetzungen für eine Minusmaßnahme nach § 15 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 1 VersG nicht gegeben. Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Voraussetzung für die Auflösung und somit auch für die Minusmaßnahme des Anhaltens des Aufzugs ist also, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist (vgl. Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl., 2018, Rn. 222). Dass eine solche unmittelbare Gefährdung vorlag, hat die Beklagte nicht substantiiert dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Eine Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus der Sicht eines ex ante Beobachters ein Schaden an einem polizeilich geschützten Rechtsgut eintreten wird. Die unmittelbar bevorstehende Gefahr ist dabei in zweifacher Weise qualifiziert, da sie eine besondere zeitlich Nähe der Gefahrenentwicklung sowie ein gesteigertes Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraussetzt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 13.4.2012, 4 Bs 78/12, juris Rn. 16). Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein versammlungsrechtliches Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 17; OVG Hamburg, Beschl. v. 3.7.2017, 4 Bs 142/17, juris Rn. 110).

Gemessen an diesem Maßstab war die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung des Aufzuges nicht unmittelbar gefährdet. Insbesondere lässt sich eine unmittelbar bevorstehende Gefahr nicht mit dem – nach Angaben der Beklagten bestehenden – allgemeinen Erfahrungswissen der Polizei begründen, dass regelmäßig ein Vorlauf von 10 Minuten vor dem eigentlichen Abmarsch benötigt werde, um ausreichende Regelungen zur Sicherung des Verkehrs zu treffen. Vielmehr kommt es für die Prognose der unmittelbar bevorstehenden Gefahr auf die konkreten Einzelumstände an. Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt und es ist auch nicht sonst ersichtlich, dass bei Abmarsch des Aufzugs gegen 15.10 Uhr aufgrund des Straßenverkehrs auf der geplanten Aufzugsstrecke eine unmittelbare Gefahr für die Versammlungsteilnehmer oder andere Verkehrsteilnehmer bestanden hat. Die Zeugin Neu hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, dass sie zum Zeitpunkt des Abmarschs des Aufzugs nicht habe sehen können, ob auf der Altonaer Straße der Verkehr noch gelaufen ist, denn sie habe sich direkt bei der Demonstration aufgehalten. Auf den in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Videosequenzen sind keine zivilen Fahrzeuge auf der Max-Brauer-Allee/Altonaer Straße erkennbar gewesen. Zwar hat die Beklagte vorgetragen, dass die vorgespielten Videosequenzen nicht zur Feststellung geeignet seien, der abgesperrte Bereich sei überwiegend verkehrssicher gewesen und insbesondere aus den Seitenstraßen sei kein Verkehr mehr zugeflossen. Jedoch hat die Beklagte zu der konkreten Verkehrssituation vor Ort am 21. Dezember 2013 nicht weiter vorgetragen. Vielmehr hat sie nach der Einholung einer gesonderten Stellungnahme des Fachstabs „Einsatz“ der Schutzpolizei erklärt, dass die am Einsatz beteiligten Mitarbeiter des Verkehrsdienstes und der Schutzpolizei keine relevanten Erinnerungen an die Verkehrssituation vor Ort hätten. Aus der Stellungnahme des Fachstabs ergibt sich zudem, dass auch die Abschlussmeldungen der einzelnen Einsatzabschnitte (u.a. Raumschutz und Verkehr) insoweit nicht ergiebig sind (S. 5 der neuen Anlage 11 der Beklagten). Andere Erkenntnismittel für eine unmittelbare Gefahr für die Versammlungsteilnehmer oder andere Verkehrsteilnehmer aufgrund der Verkehrslage am 21. Dezember 2013 hat die Beklagte nicht benannt und sind auch sonst nicht erkennbar. Diese Unaufklärbarkeiten geht angesichts der materiellen Beweislastverteilung zu Lasten der Beklagten.

Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Anhalten des Aufzugs gerechtfertigt hätte, lag auch nicht deshalb vor, weil nach Angaben der Beklagten ein zeitlicher Vorlauf erforderlich gewesen sei, um die eingesetzten Polizeikräfte über die Befehlskette aus einer statischen in eine begleitende Formation zu bringen. Dadurch hätten die vorderen, begleitenden Polizeikräfte vom Kopf des – als gewaltbereit eingeordneten und tatsächlich auch massiv gewalttätigen – „Schwarzen Blocks“ nach vorne räumlich abgesetzt werden sollen, um eine Gefährdung der eingesetzten Polizeibeamten durch Bewurf von hinten zu minimieren. Nach den in Augenschein genommenen Videosequenzen war es der Polizei problemlos möglich, die Aufzugstrecke durch eine Polizeikette auf Höhe des nordwestlichen Endes der über das Schulterblatt verlaufenden Eisenbahnbrücke anzusperren. Weshalb die dort eingesetzten Polizisten in der Lage waren, die Strecke abzusperren, aber es ihnen nicht möglich gewesen wäre, den Aufzug – ggf. auch räumlich abgesetzt – zu begleiten, hat die Beklagte nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dass es nach dem Anhalten des Aufzugs zu einer massiven Eskalation kam, bei der die Einsatzkräfte der Polizei u.a. mit Pyrotechnik, Flaschen und Rauchkörpern beworfen wurden, kann das vorherige Anhalten des Aufzugs nicht nachträglich rechtfertigen.

  • Des Weiteren war die Dauer der Freiheitsentziehung des Klägers am 21. Dezember 2013 in der Kastanienallee rechtswidrig. Die Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme des Klägers bildet § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG. Danach darf eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn diese Maßnahme unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern. Bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung ist zwischen der Anordnung der Maßnahme und der Durchführung – etwa der Dauer der Maßnahme – zu unterscheiden (BVerfG, Beschl. v. 8.3.2011, 1 BvR 47/05, juris Rn. 24; Beschl. v. 11.7.2006, 2 BvR 1255/04, juris Rn. 20 ff.).

Vorliegend dauerte die Freiheitsentziehung unverhältnismäßig lang. Gemäß § 13c Abs. 1 Nr. 1 HmbSOG ist die festgehaltene Person zu entlassen, sobald der Grund für die Maßnahme weggefallen ist. Die weitergehende Freiheitsentziehung ist dann nicht mehr erforderlich und damit unverhältnismäßig (vgl.: Graulich in: Lisken/Denninge, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, E Rn. 547). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Freiheitsentziehung den schwersten Eingriff in das Recht der Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darstellt (hierzu und zum Folgenden: BVerfG, Beschl. v. 13.12.2005, 2 BvR 447/05, juris Rn. 34 ff.). Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als „unverletzlich“. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Vor diesem Hintergrund sind strenge Anforderungen an die Dauer von Freiheitsentziehungen zu stellen (hierzu und zum Folgenden: BVerfG, Beschl. v. 8.3.2011, 1 BvR 47/05, juris Rn. 21 ff.; Beschl. v. 11.7.2006, 2 BvR 1255/04, Rn. 22). Zeitliche Verzögerungen im Ablauf, die zu einer Verlängerung der Freiheitsentziehung führen, sind rechtfertigungsbedürftig. Dabei genügt der bloße Hinweis auf die Masse der zu bearbeitenden Fälle nicht aus. Die materielle Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme – auch ihrer Dauer – liegt grundsätzlich bei der Beklagten (vgl. allgemein zur Beweislast bei der Anfechtung belastender Verwaltungsakte: BVerwG, Urt. v. 29.4.1983, 1 C 5/83, juris Rn. 25, dieser Grundsatz ist auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit belastender Realakte der Verwaltung übertragbar).

Gemessen an diesem Maßstab war die Dauer der Freiheitsentziehung von ca. 18.05 Uhr bis ca. 23.15 Uhr unverhältnismäßig. Die Freiheitsentziehung war in dieser Länge von über 5 Stunden weder zur Gefahrenabwehr (aa) noch zur Identitätsfeststellung (bb) erforderlich.

(aa) Zur Gefahrenabwehr durch Verhinderung weiterer Straftaten der in Gewahrsam genommenen Personen an Ort und Stelle in der Kastanienallee und Umgebung war die Freiheitsentziehung spätestens ab ca. 21.40 Uhr nicht mehr erforderlich. Ab diesem Zeitpunkt war selbst nach Ansicht der Beklagten die Freiheitsentziehung nur noch zur Identitätsfeststellung und nicht mehr zur Verhinderung weiterer Straftaten an Ort und Stelle erforderlich. Dies erscheint auch lebensnah, denn zu diesem Zeitpunkt waren die Betroffenen bereits über 3 ½ Stunden bei kalten Temperaturen an einem Winterabend draußen in Gewahrsam genommen. Insoweit dürfte spätestens ab diesem Zeitpunkt ein Platzverweis das mildere Mittel und die Freiheitsentziehung nicht mehr erforderlich gewesen sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.4.2017, 2 BvR 1754/14, juris Rn. 48).

(bb) Die Freiheitsentziehung bis ca. 23.15 Uhr war auch nicht zur Feststellung der Identität des Klägers gerechtfertigt. Die Beklagte hätte die Identitätsfeststellung schon zu einem früheren Zeitpunkt durchführen können und müssen. Denn die von der Beklagten angegebene Rechtfertigung für die Dauer der Freiheitsentziehung beruht maßgeblich auf der hohen Anzahl von 342 in Gewahrsam genommenen Personen. Die Beklagte hat aber nicht substantiiert dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass in der Kastanienallee ab ca. 18.05 Uhr tatsächlich 342 Personen in Gewahrsam genommen wurden ((1)). Unabhängig davon war die Dauer der Freiheitsentziehung bis ca. 23.15 Uhr selbst dann nicht zur Feststellung der Identität des Klägers gerechtfertigt, wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt wird, dass tatsächlich 342 Personen in der Kastanienallee in Gewahrsam genommen wurden ((2)).

  • Die Dauer der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil die von der Beklagten gegebene Begründung, die Dauer beruhe auf dem hohen Aufwand, die Maßnahme bei insgesamt 342 in Gewahrsam genommenen Personen abzuarbeiten, nicht durchgreift. Es steht nämlich nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren angegebene Anzahl von 342 Personen, die in Gewahrsam genommen wurden, zutrifft. Die Zahl der Personen, die in der Kastanienallee festgehalten wurden, bezeichneten sowohl der Zeuge (…) in seiner Abschlussmeldung als auch PHK (…) von der 22. BPH aus Dachau in seiner Sachverhaltsschilderung jeweils vom 21. Dezember 2013 mit ca. 200. POM (…) der 22. BPH aus Dachau ging in seiner Sachverhaltsschilderung vom 21. Dezember 2013 von ca. 200-250 Personen aus. Lediglich PHK (…) von der 22. BPH aus Dachau sprach in seiner – mehr als ein halbes Jahr nach dem Einsatz abgegebenen – Stellungnahme vom 12. August 2014 von 342 Personen. Das Landeskriminalamt 7 führte in einem Vermerk vom 19. Oktober 2015 aus, dass sich aus den Einträgen des EPS Web des Führungsstabs ergebe, dass in der Kastanienallee ca. 200 Personen in Gewahrsam genommen worden seien. Die Anzahl von 342 Personen aus dem Vermerk von PHK (…) vom 12. August 2014 beziehe sich wohl auf den gesamten Einsatztag. Der Zeuge (…) sagte in der mündlichen Verhandlung aus, die Differenz erkläre sich daraus, dass man im ersten Moment die Zahl auch nur habe schätzen können und nicht genau habe sehen können, wie viele Personen tatsächlich in Gewahrsam genommen worden seien. Die in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Videosequenzen auf der DVD (…) sind nicht eindeutig. Der Zeuge (…) erklärte zwar, dass es sich nach seinem Eindruck und grober Schätzung bei beiden Kesseln um mehr als 200 Personen gehandelt habe. Die Kammer konnte bei Inaugenscheinnahme der Videosequenzen nicht die Überzeugung gewinnen, dass es sich um etwa 340 in Gewahrsam genommene Personen handelte.

Entscheidend gegen eine Anzahl von 342 Personen spricht aber, dass nach Angaben des PHK (…) in seinem Vermerk vom 12. August 2014 alle in der Kastanienallee in Gewahrsam genommene Personen, also auch die 95 Personen, die von der Kastanienallee zur Gefangenensammelstelle gebracht wurden, einzeln durchsucht, ihre Identität festgestellt, sie mir ihrem Ausweis zusammen fotografiert und sie in einer Liste erfasst wurden. Bei dieser Liste handelt es sich aller Voraussicht nach um die sogenannte IDF-Liste, von der die Beklagte dem Gericht nur einen Ausschnitt zur Verfügung gestellt hat (vgl. Bl. 14 der Sachakte). Auf dieser IDF-Liste sind insgesamt lediglich 247 Personen erfasst. Auch der dem Gericht nicht übermittelte Videodatenträger (…) mit allen in der Kastanienallee erstellten Fotografien von Personen mit ihren Ausweisen (Anlage 9 der Beklagten enthält die Ausdrucke der Lichtbilder 1, 3, 200 und 247 – auf den Lichtbildern befindet sich keine Uhrzeitangabe) enthält nach Angaben der Beklagten 247 Aufnahmen. Es wurden also in der Kastanienallee insgesamt 247 Personen mit ihrem Lichtbild fotografiert und in eine Liste eingetragen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass eine weitere Liste und ein weiterer Datenträger mit Videoaufzeichnungen von den 95 Personen, die von der Kastanienallee zur Gefangenensammelstelle gebracht wurden, existiert. Da aber auch diese 95 Personen in der Kastanienallee fotografiert und in eine Liste eingetragen wurden, sind sie nicht hinzuzuzählen, weil es sich aller Voraussicht nach um eine Teilgruppe der insgesamt 247 in Gewahrsam Genommenen handelt.

Dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, die Identitätsfeststellung bei lediglich 247 anstelle von 342 in Gewahrsam Genommenen erheblich schneller durchzuführen und damit Dauer der Freiheitsentziehung – auch des Klägers – erheblich zu verkürzen, hat die Beklagte nicht dargelegt und ist auch sonst nicht erkennbar.

  • Unabhängig davon war die Dauer der Freiheitsentziehung bis ca. 23.15 Uhr selbst dann nicht zur Feststellung der Identität des Klägers gerechtfertigt, wenn zu Gunsten der Beklagten unterstellt wird, dass tatsächlich 342 Personen in der Kastanienallee in Gewahrsam genommen wurden. Auch dann hätte die Identitätsfeststellung zu einem frühen Zeitpunkt abgeschlossen sein müssen. Zum Ablauf der Ingewahrsamnahme in der Kastanienallee ergeben sich aus der Sachakte zwei verschiedene Versionen. Einerseits führte PHK (…) in seiner Stellungnahme vom 12. August 2014 aus, dass mit der Abarbeitung der Ingewahrsamnahme erst gegen 19.36 Uhr nach Organisation und Anfahrt der Transportbusse habe begonnen werden können. Die umstellten Personen seien einzeln durchsucht, ihre Identitäten seien festgestellt und sie seine in einer Liste erfasst worden. Zwischen 21.17 Uhr und 21.23 Uhr sei der erste Transport zur Stresemannstraße gefahren. Gegen 21.42 Uhr habe der Polizeiführer entschieden, bei allen noch verbliebenen Personen die Identität festzustellen und sie anschließend zu entlassen. Gegen 23.39 Uhr seien noch ca. 60 Personen abzuarbeiten gewesen. Um 0.16 Uhr sei die Abarbeitung beendet und alle Festgehaltenen entlassen worden. Andererseits erklärte das Landeskriminalamt 7 in dem Vermerk vom 19. Oktober 2015, dass der 22. BPH gegen 19.09 Uhr mitgeteilt worden sei, dass ein erster HVV-Bus zum Transport der in Gewahrsam Genommenen in der Davidstraße bereitstehe. In der Kastanienallee seien die Identitäten der in Gewahrsam Genommenen festgestellt worden. Der erste Bus mit 97 der in Gewahrsam Genommenen sei um 20.20 Uhr von der Kastanienallee in Richtung Gefangenensammelstelle abgefahren. Ein zweiter HVV-Bus habe die Kastanienallee gegen 21.35 Uhr erreicht. Die verbliebenen Personen seien nicht mehr zur Sammelstelle gebracht worden, sondern nach der Identitätsfeststellung vor Ort entlassen worden. Welche der beiden Varianten den tatsächlichen Geschehensablauf wiedergibt, ließ sich in der mündlichen Verhandlung nicht aufklären. Der Zeuge (…) konnte den genauen zeitlichen Ablauf der Ingewahrsamnahme nicht schildern.

Einer weiteren Aufklärung des zeitlichen Ablaufs bedarf es nicht, weil letztendlich dahinstehen kann, welche der beiden Varianten zutrifft. Denn sowohl in der von PKH (…) ((a)) als auch in der vom Landeskriminalamt 7 ((b)) geschilderten Variante kam es zu ungerechtfertigten Verzögerungen bei der Identitätsfeststellung und damit zu einer unverhältnismäßigen Dauer der Freiheitsentziehung ((c)) – auch für den Kläger.

  • Wenn die Schilderung von PHK (…) zutreffen sollte, bleibt unklar, weshalb mit der Identitätsfeststellung der – zu Gunsten der Beklagten unterstellten Anzahl von – 247 Personen, die nach dem ersten Transport noch in der Kastanienallee verblieben waren, erst ab ca. 21.40 Uhr begonnen wurde.

In dieser Variante wäre schon nicht gerechtfertigt, dass die Polizei erst um 19.36 Uhr – also etwa 1 ½ Stunden nach dem Beginn der Freiheitsentziehung mit der Identitätsfeststellung der ersten Personengruppe, die dann in die Gefangenensammelstelle transportiert wurde, begann. Die von den Beklagten insoweit geschilderten Gründe greifen nicht durch. Soweit die Beklagte vorträgt, dass zwischenzeitlich kleinere Gruppen versucht hätten, die Umstellung zu durchbrechen, so dass die Abarbeitung habe unterbrochen werden müssen, bleibt dieser Vortrag unsubstantiiert, insbesondere bleibt unklar, wie viele Ausbruchsversuche es wann gegeben haben soll. Aus der von der Beklagten vorgelegten Videodokumentation ergibt sich lediglich ein Ausbruchsversuch gegen 18.10 Uhr (DVD 13a – 0024/14), der eine Verzögerung des Beginns der Identitätsfeststellung bis 19.36 Uhr nicht rechtfertigen kann. Darüber hinaus hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen und ist auch sonst nicht erkennbar, dass von den in Gewahrsam genommenen Personen eine solche Unruhe ausging, dass sie erst um 19.36 Uhr mit der Identitätsfeststellung beginnen konnte. Aus den in Augenschein genommenen Videosequenzen ergibt sich vielmehr, dass sich die in Gewahrsam Genommenen nach dem gegen 18.10 Uhr erfolgten Ausbruchsversuch, der unter Einsatz unmittelbaren Zwangs (Schlagstock und Pfefferspray) abgewendet wurde, relativ ruhig verhielten (vgl. DVD 13a – 0024/14). Schließlich rechtfertigt die Ankunft des ersten Transportbusses in der Kastanienallee gegen 19.36 Uhr es nicht, erst zu diesem Zeitpunkt mit der Identitätsfeststellung zu beginnen. Denn die Beklagte hat nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass ihr die Identitätsfeststellung erst in dem Moment möglich gewesen ist, ab dem ein Transportbus an Ort und Stelle vorhanden war. Vielmehr hätte sie die in Gewahrsam Genommenen auch ohne Transportbus in verschiedene „Kessel“ einteilen können (z.B. ein „Kessel“ für diejenigen, deren Identität bereits festgestellt wurde und ein „Kessel“ für die anderen). Den 69 Einsatzkräften vor Ort war die Bildung mehrerer „Kessel“ auch möglich, denn aus den In Augenschein genommenen Videosequenzen ergibt sich, dass die Ingewahrsamnahme in der Kastanienallee in zwei räumlich voneinander getrennten „Kesseln“ erfolgte (vgl. DVD 13a – 0024/14, etwa ab 18.11 Uhr).

Eine weitere ungerechtfertigte Verzögerung ergibt sich daraus, dass mit der Feststellung der Identität der Personengruppe, die nach dem ersten Transport in die Gefangenensammelstelle noch in der Kastanienallee festgehalten wurde, erst gegen 21.40 Uhr begonnen wurde. Zum einen ist nicht ersichtlich, weshalb die Feststellung der Identität der ersten Personengruppe von 19.36 Uhr bis etwa 21.17 Uhr also etwa 1 Stunde und 41 Minuten dauerte. Nach den Angaben der Beklagten war es den Einsatzkräften ab 21.40 Uhr möglich etwa 1,6 Personen pro Minuten zu durchsuchen, mit ihren Ausweisen zu fotografieren und ihnen einen Platzverweis zu erteilen. In diesem Tempo hätte die Beklagte für 95 Personen etwas weniger als eine Stunde benötigt. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt noch mehr in Gewahrsam genommene Personen in der Kastanienallee vor Ort. Jedoch hat die Beklagte nicht dargelegt und ist sonst nicht erkennbar, dass dies eine Verzögerung von über 40 Minuten begründete. Eine allgemeine Unruhe bzw. die geltend gemachten Ausbruchsversuche greifen als Erklärung nicht durch (s.o.). Überdies war es nicht gerechtfertigt, dass die Einsatzkräfte nach der Abfahrt des ersten Busses zwischen 21.17 Uhr und 21.23 Uhr nicht umgehend mit der Identitätsfeststellung weitergemacht haben, sondern diese erst ab ca. 21.40 Uhr fortgesetzt haben. Das Abwarten auf die Ankunft des weiteren Transportbusses kann diese Verzögerung nicht rechtfertigen (s.o.).

  • Wenn der vom Landeskriminalamt 7 geschilderte Ablauf zutreffen sollte, dann ergibt sich eine ungerechtfertigte Verzögerung von 20.20 Uhr, dem Zeitpunkt, ab dem der erste Transportbus von der Kastanienallee in Richtung Gefangenensammelstelle abgefahren sein soll, bis 21.40 Uhr (als mit der Identitätsfeststellung der noch in der Kastanienallee verbliebenen Personen begonnen wurde). Das Abwarten auf die Ankunft des zweiten Transportbusses kann diese Verzögerung nicht rechtfertigen (s.o.).
  • Wäre diese ungerechtfertigte Verzögerung bei der Identitätsfeststellung unterblieben, hätte sich die Dauer der Freiheitsentziehung – auch für den Kläger –  erheblich verkürzt. Zwar hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie nach 21.40 Uhr nicht alle in Gewahrsam Genommenen habe gleichzeitig erlassen können, ohne das Risiko einer erneuten Gruppenbildung und möglicherweise weiterer Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzugehen. Jedoch hätte eine früher durchgeführte Identitätsfeststellung die Freiheitsentziehung verkürzt. Es bestehen schon erhebliche Zweifel, ob die Gefahrenprognose der Beklagten hinsichtlich der erneuten Gruppenbildung nach der bereits über 3 ½ Stunden andauernden Freiheitsentziehung und nach Identitätsfeststellung und Erstellung von Platzverweisen noch zutreffend war. Unabhängig davon wäre es der Beklagten nach 21.40 Uhr jedenfalls möglich gewesen, Personen, deren Identität schon festgestellt gewesen wäre, erheblich schneller einzeln zu entlassen, als in der von ihr vorgetragenen Frequenz von 1,6 Personen pro Minute.
  • Schließlich war der dem Kläger erteilte Platzverweis rechtwidrig. Gemäß § 12a HmbSOG darf eine Person zur Gefahrenabwehr vorübergehend von einem Ort verwiesen oder ihr darf vorübergehend das Betreten eines Ortes untersagt werden. Es ist bereits fraglich, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Platzverweises vorliegen. Denn in Abgrenzung vom Aufenthaltsverbot gemäß § 12b Abs. 2 HmbSOG, nachdem einer Person zur Verhütung von Straftaten die Anwesenheit an bestimmten Orten oder in bestimmten Gebieten der Freien und Hansestadt Hamburg für längstens sechs Monate untersagt werden kann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen wird, bezieht sich ein Platzverweis nur auf einzelne Orte und nicht auf Gebiete. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass ein Platzverweis schon tatbestandlich nur vom Ort des Geschehens – vorliegend der Kastanienallee und der näheren Umgebung – möglich ist (in diese Richtung: VG Frankfurt, Urt. v. 24.9.2014, 5 K 659/14.F, juris Rn. 120). Dem Kläger wurde aber nach eigenen Angaben, die von der Beklagten nicht bestritten wurden und an deren Richtigkeit auch sonst keine Zweifel bestehen, mündlich ein Platzverweis für die Hamburger Innenstadt und die Gebiete Schanzenviertel und St. Pauli bis ca. 6 Uhr des 22. Dezember 2013 erteilt.

Jedenfalls war der Platzverweis in diesem örtlichen Umfang unverhältnismäßig. Die Beklagte hat nicht vorgetragen und es ist auch sonst nicht ersichtlich, weshalb es erforderlich und angemessen war, den Platzverweis über den Ort des Geschehens (Kastanienallee und nähere Umgebung) hinaus auf die gesamte Hamburger Innenstadt und die Gebiete Schanzenviertel und St. Pauli zu erstrecken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger im Anschluss an den Platzverweis in der Hamburger Innenstadt aufhalten musste, weil sein Bus nach (…) noch in derselben Nacht vom Zentralen Omnibusbahnhof, der in der Innenstadt liegt, abfuhr.

(…)“